Vogalonga
Jedes Jahr am Pfingstsonntag treffen sich Ruder- und Paddelbegeisterte in und um Venedig zu einem beeindruckenden Ereignis: der Vogalonga. Diese Ruderregatta erstreckt sich über eine Strecke von 30 Kilometern und ist ausschließlich Booten vorbehalten, die mit reiner Muskelkraft angetrieben werden. Drachenboote, venezianische und englische Ruderboote, Kanus und vieles mehr nehmen an diesem feierlichen Umzug teil, der die historischen Künste der Schifffahrt würdigt. Die Veranstaltung wurde ins Leben gerufen, um die Verwendung von nicht motorisierten Booten zu fördern und Venedig vor den schädlichen Auswirkungen des Schiffsverkehrs zu schützen.
Ruder- und Paddelbegeisterte aus der ganzen Welt nehmen an diesem erhabenen Ereignis teil. Die Teilnehmerzahl erreicht heute bis zu 8000 Ruderer, die in 2000 Booten die Lagune befahren. Unser Ruderverein, der Postsportverein Mühldorf, und unsere Ruderfreunde aus Rosenheim wollten sich dieses Spektakel natürlich nicht entgehen lassen. Damit sich der Aufwand auch lohnt, beschlossen wir, nach der Vogalonga noch eine Wanderfahrt im Brenta-Kanal anzuhängen.
Nach sorgfältiger Planung und Reservierung der Zeltplätze sowie der Vorbereitung der Boote war es am Freitag, den 17. Mai 2024 endlich soweit. 18 Ruderinnen und Ruderer machten sich in Gruppen auf den Weg nach Punta Sabbioni, unserem ersten Zeltplatz. Eine größere Gruppe, die für das Verladen der Boote und den Transport des Bootsanhängers mit vier Booten zuständig war, machte sich am Freitagabend auf den Weg und kam nach einer durchfahrenen Nacht pünktlich zum Sonnenaufgang wohlbehalten am Ziel an.
Bis zum Nachmittag hatten alle das Camp erreicht. Einige waren bereits mit der Fähre nach Venedig gefahren, um Startnummern und T-Shirts abzuholen und die Stadt zu besichtigen. Der Rest der Gruppe beschloss, sich mit den Gegebenheiten der Lagune und der Kanäle vertraut zu machen und eine erste Rudertour zu unternehmen. Nach 12 Kilometern auf diesem Gewässer wussten wir, wie wellig und unruhig die offene Lagune ist, hervorgerufen durch den regen Schiffsverkehr und den Wind. Eine echte Herausforderung, aber auch ein hervorragendes Training für die bevorstehende Lagunenüberquerung zur Vogalonga.
Der Pfingstsonntag begrüßte uns mit gutem Wetter. Es versprach nicht zu heiß zu werden, aber es war auch nicht mit Regen oder Sturm zu rechnen. Mit freudiger Aufregung und einer gewissen Anspannung, was uns erwarten würde, ließen wir in den frühen Morgenstunden unsere vier Boote zu Wasser und machten uns auf den Weg über die offene Lagune nach Venedig, um rechtzeitig zum Beginn der Vogalonga um 9 Uhr anzukommen.
Während der Überfahrt bemerkten wir, dass wir beinahe auf eine Sandbank aufgelaufen wären, ein Zeichen dafür, dass die Wassertiefe der Lagune durch Versandung immer mehr abnimmt. Aber Fortuna hatte ein Einsehen mit uns und wir konnten uns bald den vielen anderen Teilnehmern der Regatta anschließen.
Ein unvergleichliches Erlebnis bot sich uns, als wir zwischen den unterschiedlichsten Booten – kleinen und großen, geschmückten und schlichten, Einmannbooten und vollbesetzten Drachenbooten – ruderten, immer die grandiose Kulisse Venedigs und der umliegenden Inseln vor Augen.
Wir durchquerten die Kanäle der Inseln Burano und Murano, bewunderten die bunten Häuser vom Wasser aus und näherten uns schließlich Venedig. Bei der Einfahrt in den engen Canale di Cannaregio kam es zu einem Stau, der sich aber mit Geduld bald auflöste. Der Jubel der Zuschauer, die das Spektakel vom Ufer aus beobachteten, begleitete uns, und als wir in den Canal Grande einbogen, umgab uns eine ruhige Atmosphäre. Hier hatten die Zuschauer kaum Zugang zum Wasser, und die breite Wasserstraße gab uns Gelegenheit, die prächtigen Häuser zu beiden Seiten in stiller Bewunderung zu betrachten.
An der Rialtobrücke und der Accademiebrücke wurden wir wieder von den Zuschauern bejubelt und erreichten schließlich den Bacino di S. Marco vor dem Markusplatz. Hier versuchte man sich in den wartenden Booten so zu positionieren, dass die Teilnehmermedaillen und Urkunden ins Boot geworfen werden konnten – und damit hatten wir das Ziel der Vogalonga erreicht.
Doch der anstrengendste Teil stand uns noch bevor. Über die offene Lagune, durch den regen Schiffsverkehr und die vielen Wellen, Fähren und Motorboote mussten wir den Rückweg nach Punta Sabbioni bewältigen. Auch diese Herausforderung meisterten wir mit Bravour. Dort angekommen waren die Boote schnell aufgeriggert und verladen und wir genossen das kühle Nass des Campingplatz-Pools, um unsere müden Glieder zu entspannen und die Blasen an unseren Händen zu vergleichen. Ein gemeinsames Abendessen und der Austausch über die Erlebnisse des Tages rundeten den Abend ab.
Am nächsten Tag fuhren zehn Ruderer nach Hause, während der Rest mit dem Bootsanhänger zum zweiten Zeltplatz nach Fusina aufbrach. Nach einer Stunde Fahrt, einmal um Venedig herum, erreichten wir unser Ziel. Aufgrund der schlechten Wettervorhersage entschieden wir uns, wenn möglich, eine feste Unterkunft zu mieten, anstatt zu zelten.
Wanderfahrt auf dem Brentakanal
Das zweite Ziel unser Venedig-Reise war der altehrwürdige Brenta-Kanal, oder wie die Einheimischen ihn nennen, die Riviera del Brenta. Er wurde im 16. Jahrhundert erbaut und verbindet die Lagune von Venedig mit dem beschaulichen Städtchen Stra. Die idyllische, von üppigem Grün geprägte Landschaft rund um den Kanal veranlasste einst zahlreiche venezianische Adelige, ihre prächtigen Villen und Herrenhäuser entlang der Wasserstraße zu errichten. Einige dieser Villen sind heute stark verfallen, andere erstrahlen in altem Glanz. Diese Relikte vergangener Pracht wollten wir beim Rudern vom Kanal aus bewundern.
Am Nachmittag machten wir uns bei immer noch schönem Wetter auf den Weg zum Brenta-Kanal. Eine kleine Slipanlage im Hafen, in der Nähe der Anlegestelle der großen Schiffe, war schnell gefunden. Zu acht in zwei Booten machten wir uns auf den Weg von der Lagune in den Brentakanal.
Bei der ersten Schleusung gab es gleich eine Aufregung, als sich eines unserer Boote in einem Fischernetz verfing, das ungünstig an der Schleusenwand befestigt war. Glücklicherweise konnten wir uns befreien, bevor das Boot in bedrohliche Schräglage geriet. Weiter ging es vorbei an der Villa Foscari, auch „La Malcontenta“ genannt, ein Werk des berühmten Architekten Palladio. Bald war es an der Zeit, eine Anlegestelle für die Boote zu finden. Das erwies sich als gar nicht so einfach, aber mit vereinten Kräften zogen wir die Boote aus dem Wasser und durften sie auf dem Grundstück eines freundlichen Bauern abstellen. Dank eines Chauffeurdienstes kehrten alle Ruderer zum Campingplatz zurück, wo wir den Abend im gemütlichen Ristorante des Platzes verbrachten.
Der nächste Tag versprach morgens und mittags Dauerregen. Deshalb beschlossen wir, statt zu rudern, mit der Fähre nach Venedig zu fahren. Dort wollten wir die Stadt besichtigen und die großartige Gelegenheit nutzen, das Bootshaus der venezianischen Ruderer zu besuchen. Trotz des teilweise starken Regens und des zügigen Marsches durch Venedig genossen wir das unverwechselbare Flair der Stadt. Besonders beeindruckend war die Besichtigung des riesigen Bootshauses, wo wir das venezianische Rudern ein wenig ausprobieren konnten. Gekrönt wurde der Ausflug durch eine Einladung zum Prosecco mit spannenden Erklärungen zum venezianischen Rudern.
Am Nachmittag ließ der Regen nach, so dass wir noch ein Stück auf dem Brenta-Kanal rudern konnten. Wir erreichten die nächste Schleuse, die aber schon geschlossen war. Um am nächsten Tag keine Zeit zu verlieren, trugen wir die Boote um die Schleuse herum. Ein Restaurantbesuch am Abend rundete den Tag ab.
Am nächsten Morgen gelang es uns, die Boote über eine etwas marode Slipanlage wieder ins Wasser zu bekommen. Bald passierten wir zwei sehr niedrige Brücken, die nur flach liegend unterfahren werden konnten, wobei ein überstehender Flaggenmast eines Bootes doch leicht hängen blieb.
Die nächste Schleuse stellte eine besondere Herausforderung dar. Als unsere Boote in der Schleuse lagen, floss das Wasser nicht wie gewohnt langsam von unten nach oben, sondern schoss durch das sich leicht öffnende Tor, so dass wir uns eher in einer „Wildwasserschleuse“ befanden. Wir hatten Mühe, die Boote stabil zu halten, aber das Glück war wieder einmal auf unserer Seite.
Nach einer Brotzeit an Land bemerkten wir ein aufziehendes Gewitter. Wir ruderten weiter in der Hoffnung, nicht vom Gewitter erfasst zu werden. Doch als Blitze über uns zuckten, legten wir so schnell wie möglich an und brachten uns und die Boote in Sicherheit. Zufällig war eine Bar in der Nähe, in der wir das Gewitter bei einem Kaffee im Trockenen abwarten konnten.
Nach eingehender Prüfung der Wetterlage beschlossen wir, die Wanderfahrt hier zu beenden. Es erschien uns wenig sinnvoll, noch für die restlichen zwei Kilometer bis zum Ende des Kanals auf besseres Wetter zu warten. Stattdessen nutzten wir die Zeit, um die Boote auf den Trailer zu laden und alles für die Heimfahrt am nächsten Tag vorzubereiten.
Am letzten Abend saßen wir alle noch einmal zusammen und tauschten uns über die Erlebnisse der vergangenen Tage aus. Am nächsten Tag hieß es dann Abschied nehmen. Die Boote wurden entladen und gereinigt und so endete unser Abenteuer, das für uns alle unvergesslich bleiben wird. – AnWa